Mein Name ist Raser, ich kann sonst nix


In der Debatte über Tempolimits sind die Sachargumente ausgetauscht. Ein Aspekt fehlt noch: Viele Sympathisanten des Schnellfahrens denken, sie seien Könner hinter dem Steuer. Ein großes Missverständnis.
© Jeannette Corbeau
Ein Kommentar von 
DPA
Fahrzeug auf der Autobahn 661

Wahrscheinlich ist es Zeit, die Debatte über das Tempolimit einmal von einer anderen Seite zu beleuchten. Auf der Ebene der Vernunft ist alles gesagt: Die Unfallhäufigkeit würde bei einer Geschwindigkeitsobergrenze sinken, der Schadstoffausstoß ebenfalls, die Zeitersparnis ist in den meisten Fällen und auf den meisten Strecken mit unbegrenztem Tempo marginal. Sie steht in keinem Verhältnis zu den Risiken und Nebenwirkungen.
Erstaunlicherweise wird der Zeitgewinn aber als Begründung von den Befürwortern kaum ins Feld geführt. Stattdessen wird die unbeschränkte Autobahn zum Sinnbild von Freiheit stilisiert, Gasfuß-Gestrige wie Ulf Poschardt verklären sie zum letzten Entfaltungsraum der Persönlichkeit. Was in diesen Lobpreisungen auf den Tiefflug durch deutsche Lande auch immer mitschwingt: Die Sehnsucht, sich bei Geschwindigkeiten jenseits von 200 km/h als phänomenaler Autofahrer zu profilieren.
Das ist fast schon putzig, denn: Schnell geradeaus fahren kann wirklich jeder.
"Fun is not a straight line" heißt ein geflügeltes Wort aus dem Motorsport. Es zielt neben seiner Allgemeingültigkeit vor allem auf eine in den USA sehr populäre Art, sich in potent motorisierten Fahrzeugen zu messen: dem Drag Racing. Dabei beschleunigen zwei Fahrzeuge parallel über eine Strecke von 400 Metern, die sogenannte Vierteilmeile. Die Beschleunigung der teils Tausende PS starken Dragster sprengt mitunter die Vorstellungskraft. Die Anforderungen an die Fahrer sind im Vergleich mit anderen Motorsportarten aber überschaubar. Weil es eben nur geradeaus geht, belächeln viele Motorsportler aus Europa das Drag Racing.
Schnell geradeaus fahren kann wirklich jeder
Umso erstaunlicher ist, dass Menschen, die eine hohe Endgeschwindigkeit auf der Autobahnals Gradmesser ihrer Fahrfertigkeiten betrachten, nicht viel öfter belächelt werden. Das Gaspedal in die Ölwanne treten und das Auto in den Begrenzer fahren, das vermag wirklich jeder Führerscheinneuling. Unterschiede zu versierten Piloten merkt man höchstens dann, wenn bei Tempo 300 plötzlich ein Kompaktwagen mit Tempo 120 überraschend auf die linke Spur zieht. Wobei in diesem Szenario selbst erfahrene Fahrer meist machtlos sind (was wiederum für ein Tempolimit spricht).
Tempolimits auf Bundesautobahnen
Anteile in Prozent, ohne Baustellen
Verkehrsbeeinflussungsanlage *Verkehrsbeeinflussungsanlage **freiTempolimit *** 130 km/hTempolimit *** 120 km/hTempolimit *** 100 km/hTempolimit *** 80 km/hTempolimit *** bis 60 km/h
Quelle: BMVI;
Stand 2015, Gesamtlänge Richtungsfahrbahnen BAB: 25.767 Kilometer;
* Anzeige eines Tempolimits auch unter günstigen Verkehrsbedingungen, ** keine Anzeige eines Tempolimits unter günstigen Verkehrsbedingungen, *** statisches Tempolimit (dauerhaft oder temporär)
Ja, zugegeben: Das erste Mal mit Tempo 280 über die Autobahn zu fliegen, ist ein Fest für die Sinne. Aber wer kein tumber Tor ist, hat daran nicht lange Freude, die Erfahrung nutzt sich ab. Im Umgang mit Autos liegt das Glück ganz woanders: Auf der Rundstrecke. Hier lässt sich auch wirklich ausmachen, wer ein guter Fahrer ist.
Jedes Auto hat einen anderen Charakter und muss anders behandelt werden, wenn es schnell um die Kurven fahren soll. Nur, wer feinfühlig mit den Pedalen und dem Lenkrad umgeht, kommt ohne Unter- oder Übersteuern durch die Kehre. Nur, wer sich auf das Auto, vor allem das Fahrwerk und seine Art zu arbeiten, einzulassen vermag, wird es wirklich beherrschen.
Die Autobahn - der Spielplatz für schlichte Gemüter
Das Fest für die Sinne wartet dann in jeder Kurve: Mit dem Auto verschmelzen, seine Nick- und Neigebewegungen nachempfinden als sei es der eigene Körper, sich herantasten an die Haftungsgrenze der Reifen bis man sie förmlich spüren kann wie die Nervenenden in den Fingerspitzen, kurz: Das Auto bei der größtmöglichen Kurvengeschwindigkeit so filigran auszubalancieren, dass es nicht abfliegt - das fordert und beglückt den Könner.
Wer wissen will, ob er das beherrscht, braucht keine Autobahn ohne Tempolimit. Wer überprüfen möchte, ob er zum automobilen Feingeist taugt, kann das viel besser auf der örtlichen Kartbahn tun. Oder er löst ein Touristenticket für die Nordschleife des Nürburgrings und schaut bei einer Runde durch die Grüne Hölle, was er wirklich auf dem Kasten hat.
Die schlichten Geister ballern weiter über die Autobahn.

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