Integrity Initiative – NATO-Propaganda auch in Deutschland

Integrity Initiative – NATO-Propaganda auch in Deutschland
Jens Berger
Die geleakten Dokumente zur „Integrity Initiative“ zeigen auf erschreckende Art und Weise, mit welchem Selbstverständnis Meinungsmacher aus dem Umfeld der NATO heute ihre PR-Netzwerke bis tief hinein in die Redaktionen deutscher Medien aufbauen. Mindestens ebenso erschreckend ist es jedoch, dass – fast – kein deutsches Medium diesen Skandal aufgreift. Die NachDenkSeiten hatten die Gelegenheit, einen ausführlichen Blick in den Zwischenbericht der deutschen Zelle von Integrity Initiative zu werfen. Von Jens Berger.

Groß war die Aufregung, als der SPIEGEL vermeldete , einem „Betrugsfall im eigenen Hause“ zum Opfer gefallen zu sein – nahezu alle großen Medien berichteten und waren sich dann aber auch schnell darin einig, dass dies ein bedauernswerter Einzelfall gewesen sein muss. Diese Zuversicht ist erstaunlich, da sich zeitgleich dank der Veröffentlichung geleakter interner Dokumente eines britischen Think Tanks ein ungleich größerer Fall von Meinungsmache und Propaganda in den westlichen Medien umreißen lässt – die Rede ist von der „Integrity Initiative“, einem Programm des dubiosen britischen „Institute for Statecraft“; maßgeblich finanziert vom britischen Außenministerium und der NATO, geleitet von Personen aus dem engeren Umfeld der NATO, des britischen Militärs und der britischen Geheimdienste. Offiziell soll es darum gehen, „russische Desinformationen“ zu kontern. Eigentlich – das legen die internen Papiere nahe – geht es jedoch eher darum, die Lufthoheit in der Propagandaschlacht zu behalten und die NATO-Sichtweise zur vorherrschenden Meinung zu machen, um – in den Worten von Piers Robinson – die „antirussische außenpolitische Agenda westlicher Regierungen zu promoten“. Man könnte auch von einem Infokrieg sprechen, dessen Krieger in Denkfabriken, Universitätsinstituten und Redaktionsbüros sitzen.
In unserem letzten Hintergrundartikel wiesen wir bereits darauf hin, dass die Integrity Initiative in Großbritannien selbst und in Ländern wie Spanien oder Serbien bereits aktiv ist. Eine deutsche Zelle der Initiative ist jedoch ebenfalls im Aufbau und ein von Anonymous geleakter Zwischenbericht, der den NachDenkSeiten vorliegt, gibt einen recht präzisen Einblick in deren geplanten Aufbau.
Kopf der deutschen Zelle der Integrity Initiative soll den Dokumenten zufolge Hannes Adomeit sein, ein Politikwissenschaftler mit einschlägiger Vergangenheit. Bereits kurz nach seiner Promotion an der Columbia University im Jahre 1972 verbrachte er den Rest des kalten Krieges als Experte für „Sowjetstudien“ an britischen, kanadischen und deutschen Instituten im näheren Umfeld des militärischen Sektors, wie beispielsweise der RAND Corporation in Santa Monica. Nach 1989 unterrichtete Adomeit unter anderem an der Tufts University, die zu jener Zeit auch als Rekrutierungspool der CIA bekannt war, in Harvard und zuletzt in Warschau an der europäischen Eliteschmiede „College of Europe“. Seit letztem Jahr ist der nunmehr 77-jährige Adomeit auf dem Papier „Non-Resident Fellow“ des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel (ISPK). Das ISPK gehört zwar zur Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, wird jedoch in einem nicht unwesentlichen Umfang vom Bundesverteidigungsministerium „querfinanziert“ und hat sich in letzter Zeit auch verstärkt als Ansprechpartner für die Medien positioniert. Die Linie des ISPK ist dabei klar – pro Militär, pro Rüstung, pro NATO, pro USA und Großbritannien.
Mitte Juni wurde Adomeit den geleakten Papieren zufolge auf einem Treffen in London in die Arbeit des Institute for Statecraft und der Integrity Initiative eingewiesen und wird seitdem in internen Dokumenten als Kopf der deutschen Zelle (German Cluster) geführt. Dass die Wahl der Briten auf Hannes Adomeit fiel, war sicherlich kein Zufall. Bereits 1984 agitierte Adomeit für seine Auftraggeber in den US-Denkfabriken gegen die damalige Friedensbewegung der BRD, die politische Linke und das, was Adomeit in Gänsefüßchen damals wie heute als „progressive“ Politik bezeichnet. An diesem Kurs hat sich in den letzten 35 Jahren nicht viel geändert, wie er bereits im Vorwort zu seinem „German Cluster Interim Report“ klar unterstreicht. Dort stellt der Falke aus dem kalten Krieg auch eine vermeintliche „Querfront-Konstellation“ aus AfD und Linkspartei als deutsche Besonderheit beim Kampf im Infokrieg der NATO heraus, die offenbar ein „Hindernis“ für die NATO-PR darstellt.
Laut Adomeit sei zudem bemerkenswert, dass das „russische Narrativ“ in Deutschland besonders populär sei, das besagt, dass die USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den alten Feind ganz einfach durch den neuen Feind Russland ersetzt hätten und mithilfe der NATO in russische Interessengebiete vorgedrungen seien. Warum soll dies eigentlich ein „russisches Narrativ“ sein? Dies ist schlicht Fakt, aber diese kleine Note wirft einen sehr bezeichnenden Blick auf die Geisteswelt der alten neuen kalten Krieger, in der jede Form von Entspannungspolitik Verrat und Konfrontation alternativlos ist.
Als eine Art „Führungsoffizier“ der deutschen Zelle fungiert den geleakten Papieren zufolge der Brite Harold Elletson, der laut der britischen Zeitung „Observer“ früher als Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 in Osteuropa und auf dem Balkan tätig war. Nach einem Mandat für die britischen Konservativen im Unterhaus war Elletson mehrere Jahre Direktor des „NATO-Forums für Wirtschaft und Sicherheit“, einer beim Militärbündnis angesiedelten Schnittstelle zwischen Politik und Rüstungsindustrie. Heute ist Elletson offiziell „PR-Berater“, Rüstungslobbyist (AFPS) und Berater für westliche Unternehmen, die im Wirtschaftsraum der ehemaligen Sowjetunion tätig sind – u.a. Alstom in Sibirien und BP in Aserbaidschan. Zur Funktion Elletsons für die deutsche Zelle schreibt Adomeit nur kurz und knapp, dass „alle Aktivitäten mit ihm koordiniert wurden und werden“. Ein anderes Dokument aus dem Leak bezeichnet ihn als Verbindungsmann zwischen dem Institute for Statecraft und der deutschen Zelle der Integrity Initiative.
Als engen Freund und Weggefährten bezeichnet Hannes Adomeit den Direktor des Kieler ISPK Joachim Krause, der ebenfalls als Mitglied der deutschen Zelle geführt wird. Anwerbungsgespräche mit ihm seien – so Adomeit – nicht nötig, da er mit Krause ohnehin nahezu täglich in Kontakt stehe. Krause gilt als Transatlantiker, überzeugter Anhänger einer massiven Ausweitung des deutschen und europäischen Rüstungsbudgets und sieht in Russland vor allem einen „strategischen Konkurrenten“. Die NachDenkSeiten hatten sich 2013 schon einmal recht ausführlich mit Krause und seinem Kampf gegen die „Zivilklausel“ beschäftigt, die es Universitäten erschweren soll, Gelder für militärische Forschung vom Militär und der Rüstungsindustrie zu akquirieren. Gerade das ISPK der Uni Kiel mit seinen „Forschungsgeldern“ aus dem militärischen Sektor wäre von einer solchen Zivilklausel natürlich besonders betroffen.
Auch das dritte Mitglied der deutschen Zelle sollte aufmerksamen Lesern der NachDenkSeiten durchaus bekannt sein – schließlich gilt die ehemalige Grünen-Politikerin Marieluise Beckim liberalen bürgerlichen Lager seit vielen Jahren als Speerspitze der Vorwärtsverteidigung deutscher Werte gen Osten. Wann immer taz und Co. ein „knackiges“ antirussisches Zitat benötigen, werden sie bei Beck fündig. Seit einem Jahr betreibt die ehemalige Abgeordnete zusammen mit ihrem Ehemann Ralf Fücks, der lange Zeit der Heinrich-Böll-Stiftung vorstand, den transatlantischen ThinkTank „Zentrum Liberale Moderne“ (Libmod). Von Adomeit wurde sie – dem Zwischenbericht zufolge – am 20. September 2018 über ihre mögliche Rolle in der deutschen Zelle der Integrity Initiative gebrieft. Auch weitere avisierte Mitglieder der deutschen Zelle gehören dem „Zentrum Liberale Moderne“ an oder stehen in engem Kontakt mit dieser Denkfabrik, die neben dem Kieler ISPK offenbar den Kern der britischen NATO-PR im deutschen Raum bildet.
Dazu zählt auch der ehemalige Focus-Journalist Boris Reitschuster, der von Adomeit dem Bericht zufolge wenige Tage später über seine Funktion bei der Integrity Initiative informiert wurde. Reitschuster machte sich mit Büchern wie „Putins Demokratur“ und „Putins verdeckter Krieg“ in der transatlantischen Community einen Namen; beruflich genutzt hat ihm seine offene antirussische Propaganda jedoch nichts – seit 2015 ist unklar, womit er nach seinem Rauswurf beim Focus eigentlich sein Geld verdient. Großartige Überzeugungsarbeit musste Adomeit bei Reitschuster sicherlich nicht aufbringen, zählt dieser im publizistischen Bereich doch zu den berüchtigtsten „Russenfressern“ der Branche, der mit der konfrontativen NATO-Linie sicher keine Probleme hat.
In der Öffentlichkeit weniger bekannt ist die Tagesspiegel-Korrespondentin Claudia von Salzen, die in ihren zahlreichen Artikeln ebenfalls eine „klare Kante“ gegen Russland zeigt. Mit ihren Mitstreitern von der Integrity Initiative eint von Salzen, dass sie die Deutschen als „Opfer russischer Propaganda“ sieht und die Existenz westlicher Propaganda glatt bestreitet. Ins gleiche Horn stoßen auch Susanne Spahn, die als Osteuropa-Historikerin und freie Journalistin dieser Linie offenbar eine „akademische Note“ verleihen soll, und Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift „Osteuropa“, die von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde herausgegeben wird. Den Reigen komplettiert die freie Journalistin Gemma Pörzgen, die sich vor allem als Gründungsmitglied der deutschen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ und journalistische Netzwerkerin einen Namen gemacht hat.
Beck, von Salzen und Spahn wurden von Adomeit zum Zeitpunkt seines Zwischenberichts bereits kontaktiert und über ihre Rolle informiert, die Treffen mit Reitschuster, Sapper und Pörzgen sollten – nach erfolgtem vorherigen Erstkontakt – nach Abschluss des Zwischenberichts (3. Oktober 2018) stattfinden, so dass die zur Zeit zur Verfügung stehenden Dokumente (noch) keine Auskunft darüber geben, ob Adomeits Anwerbung begrüßt oder abgelehnt wurde.
Nachträgliche Anmerkung der Redaktion: Gemma Pörzgen erklärt den NachDenkSeiten gegenüber, dass sie zwar von Adomeit kontaktiert wurde, sein Angebot, „bei dieser Initiative mitzumachen“ jedoch abgelehnt hätte.
Weitere Treffen sollten den Dokumenten zufolge mit Margarete Klein (Stiftung Wissenschaft und Politik), Manfred Quiring (ehemals Berliner Zeitung und WELT), Gwendolyn Sasse (Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien), Barbara Mohnheim(Deutsch-Polnisch-Ukrainische Gesellschaft und Zentrum Liberale Moderne), Armin Huttenlocher(Zentrum Liberale Moderne), Walter Gruhn (Stiftung Wissenschaft und Politik), Stefan Meister (DGAP), Michael Thumann und Alice Bota (Die Zeit), Katja Tichomirowa (Berliner Zeitung) und Barbara Freytag von Loringhoven stattfinden, die im Zwischenbericht als ehemalige Mitarbeiterin des Koordinators der Bundesregierung für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit geführt wird. Interessanter dürfte da jedoch ihr Ehemann sein – Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven ist nicht nur ehemaliger Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes, sondern auch der oberste Geheimdienstkoordinator der NATO in Brüssel. Laut Zwischenbericht plant Adomeit, die Freytag von Loringhovens regelmäßig in Brüssel zu besuchen und mit ihnen in einem privaten Rahmen die anstehenden Themen zu besprechen.
Wie die künftige Arbeit der deutschen Zelle konkret aussehen soll, ist durch die bislang veröffentlichten Dokumente nicht ersichtlich. Klar ist jedoch, dass es um Propaganda geht, mit deren Hilfe man den „Infokrieg“ um die öffentliche Meinung für sich entscheiden will. Russland soll demnach dämonisiert werden und man ist bemüht, die Zustimmung für eine Konfrontationspolitik gegenüber Russland zu stärken. Dabei geht es nicht „nur“ um Außenpolitik, sondern auch um sehr viel Geld, hängt das milliardenschwere Rüstungsbudget Deutschlands doch auch ganz wesentlich davon ab, ob die PR-Initiativen der transatlantischen NATO-nahen Denkfabriken es schaffen, eine Bedrohungslage zu zeichnen, die es der Politik erlaubt, Gelder in die Rüstung und nicht etwa in Bildung, Infrastruktur oder Soziales zu stecken.
Um es klar zu sagen: Solche PR-Arbeit ist im Kern natürlich legitim. Unternehmen, Unternehmensverbände und auch öffentliche Stellen betreiben stets eine mehr oder weniger ausgereifte PR-Arbeit. Nicht legitim ist es jedoch, diese PR-Arbeit verdeckt und mithilfe von mit Steuergeldern finanzierten Universitäten und den Medien zu betreiben. Wissenschaftler, deren Existenz von den Forschungsgeldern der Rüstungswirtschaft und dem Verteidigungsbudget abhängen, können nie neutral und objektiv sein, da sie sich ja dann unter Umständen selbst überflüssig machen würden. Wie viele Wissenschaftler sind eigentlich in den NATO-Ländern für die unzähligen Denkfabriken und Stiftungen tätig? Eine Recherche der NachDenkSeitenaus 2017 ergab, dass alleine die 100 größten Think Tanks der USA auf ein jährliches Budget von mehr als 5,4 Milliarden US-Dollar bei einem Stiftungsvermögen von mehr als 40 Milliarden US-Dollar zurückgreifen können. In bestimmten Fachrichtungen (z.B. Orientalistik, Osteuropawissenschaften, Sinologie) sind solche Denkfabriken aus dem unmittelbaren Umfeld des militärisch-industriellen Sektors sicherlich der mit großem Abstand wichtigste Arbeitgeber für Akademiker. Problematisch ist hier natürlich, dass die Geldgeber bestimmen, in welche Richtung die Forschung geht. Falken wie Hannes Adomeit kommt dies sicher auch ideologisch sehr zupass. Für die Tauben fallen bestenfalls Krümel ab. Eine neutrale Wissenschaft ist bei einer derartigen Schieflage der Finanzkraft jedenfalls nicht denkbar. Es ist zudem nicht hinnehmbar, dass der Steuerzahler derartige Propagandaarbeit direkt und indirekt querfinanziert. Auch wenn die Arbeit von Instituten, wie dem Kieler ISPK, zu einem Teil über sogenannte Drittmittel aus dem Verteidigungsministerium und der Rüstungsindustrie finanziert wird, so bezahlt letzten Endes doch immer noch der Steuerzahler die Gehälter der dort tätigen Mitarbeiter und die ansonsten anfallenden Kosten. Dies ist nicht hinnehmbar. Entweder ein Institut wird aus öffentlichen Mitteln finanziert und ist dann aber auch transparent und darf keine Drittmittel von interessierter Seite annehmen, oder es lässt sich über Drittmittel finanzieren, darf dann aber direkt und auch indirekt keine öffentlichen Gelder mehr beziehen.
Und auch im Journalismus stellen Propaganda-Netzwerke wie die Integrity Initiative ein großes Problem dar. Für viele Leser, Zuschauer oder Zuhörer stellen die Medien ja immer noch eine neutrale Instanz dar, die Pro und Contra abwiegt und sich dann ein eigenes, neutrales Bild macht. Dass Journalisten selbst Einflussagenten von Lobbys und PR-Agenturen aus dem näheren Umfeld des militärisch-industriellen Sektors sind, ist mit dem Berufsethos von Journalisten schlicht nicht vereinbar. Leser des Tagesspiegel sollten beispielsweise wissen, für wen Frau von Salzen schreibt und wessen Interessen sie publizistisch vertritt; die formelle oder informelle Mitgliedschaft in einer „Initiative“, die von fremden Regierungen finanziert wird, gehört ganz sicher nicht zu den Dingen, die man dem Leser vorenthalten sollte. Die Grenzen zwischen bewusster Täuschung der Leser – wie im Fall Claas Relotius – und bewusster Manipulation der Leser – wie es die Integrity Initiative offenbar plant – sind fließend.
Es ist klar, dass die britische Integrity Initiative sicherlich kein Einzelfall ist. Die Nähe zahlreicher Journalisten zu transatlantischen Netzwerken ist hinlänglich bekannt, wird von Seiten der großen Medien aber fast nie kritisch durchleuchtet. Hier passt der Fall Integrity Initiative voll ins Schema. Verbindungen von Wissenschaft und Medien zu NATO, Militär und transatlantischen Netzwerken wurden und werden lieber verschwiegen – daran wird sich leider auch durch die Leaks zur Integrity Initiative nichts ändern, so lange die Öffentlichkeit zu diesem Thema schweigt.
Titelbild: Victor Moussa/shutterstock.com

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