Ken Jebsen und das Establishment



Von Michael Meyen

Mit Unverständnis haben einige Freunde und Kollegen (Frauen und Männer) auf meinen Auftritt bei Ken Jebsen reagiert. In der Welt von Twitter und Co. wurde aus solchem Unverständnis blanke Ablehnung, wenn auch mit wenig Resonanz. Motto: Hat er sie noch alle? Eine Stellungnahme. Und etwas Werbung für Toleranz und guten Journalismus.
Stein des Anstoßes sind zwei unterschiedliche Dinge. Da ist zunächst der Kontakt an sich – verbunden mit der Frage, wem ein Professor (bezahlt immerhin aus Steuergeldern und damit dem öffentlichen Wohl verpflichtet) Interviews geben darf und soll. Auf keinen Fall einem „Agitator“, schreibt ein Lehrstuhlinhaber, der „einem Akteur wie Jebsen niemals einen solch journalistisch legitimierenden Ritterschlag geben“ würde. Begründung neben dem „Agitator“ und dem Wunsch nach Abgrenzung: Man könne nicht sicher sein, dass Jebsen „nicht was Schönes aus den Aufnahmen bastelt“. Er (der Kollege) habe deshalb unter anderem schon Anfragen von Russia Today und Bild abgelehnt.
Du wirst benutzt, sagt eine andere Professorin. „Ich wäre da nicht zu vertrauensvoll.“ In dieser Mail wird KenFM mit Sputnik verglichen (wo ich auch schon interviewt wurde): Plattformen, sagt die Professorin, „die eher (nicht absolut, aber auch) gesellschaftsspalterische Momente und vielleicht sogar Intentionen in sich tragen und kommunikativ (gelinde gesagt) höchst merkwürdig funktionieren“ – „intransparent und sehr subjektivistisch und parteiisch“. Es folgt die Frage nach dem „SINN“ (tatsächlich groß geschrieben).
Nun: Ich wollte schon gern wissen, wie KenFM funktioniert – ein Kanal, der von den Spenden und der Zuwendung seiner Anhänger lebt (ganz ohne Rundfunkgebühren), und ein Macher, den seine Herkunftsbranche ignoriert oder attackiert und der „in linken und linksliberalen Kreisen nach wie vor schlecht beleumundet ist“. Mathias Bröckers (2016: 11), noch so ein verfemter Journalist (vgl. Butter 2018: 67), hat aufgezählt, was er „in Kollegenkreisen“ über Jebsen hören konnte: „an der rechten Flanke offen“, Nähe zu Ufologen, Diffamierungen als Antisemit. Unsinn, sagt Bröckers. Ken Jebsen sei „aus den Kreisen des sich seriös nennenden Qualitätsjournalismus“ ausgeschlossen worden, weil er „mindestens zwei Tabus“ verletzt habe: „massive Zweifel an der offiziellen Geschichte der 9/11-Anschläge“ und scharfe Kritik an der „rechtsextremen Politik der israelischen Regierung“ nach Bombardements in Gaza (ebd.).
Bei KenFM arbeiten Profis, kein Zweifel. Terminabsprache, Empfang, Räume: perfekt. Eine Assistentin plaudert mit dem Gast, bis der Meister kommt. Der nimmt sich ein paar Minuten zum Warmwerden, dann Maske, Kamera, Ton. Das Maximum herausholen. 1A-Fernsehen liefern. Später wird der Nutzer „waldbaer“ über „diese grüne Lichterscheinung“ klagen, „die da ständig“ auf meinem „linken Auge reflektiert“. Kommentar von „wolfcgn“, den das „auch extrem gestört“ hat, „insbesondere in der Gesprächsphase, als Ken von der Qualität seines Produktes geschwärmt hat“: „Nun, shit happens sogar bei KenFM“.
Was nicht passiert: schneiden, kürzen, in irgendeinen Kontext stellen. Zu sehen ist, was im Kellerstudio passiert. Zwei Menschen sprechen 90 Minuten über ein Thema, längst nicht immer stolperfrei und gar nicht so selten angreifbar im Detail und überhaupt (man muss sich dazu nur durch die Kommentare auf YouTube scrollen oder direkt bei KenFM).
Aber: Ken Jebsen lässt seinen Gast reden, Fehler machen, unsicher wirken und stellt die Datei dann komplett ins Netz. Vielleicht kann er es sich leisten, auch mal ein Video in die Tonne zu treten. Wer weiß. Grüne Punkte auf der Brille oder Inhalte, die nicht zu seinem Ethos passen (dazu gleich mehr). Was ich sicher weiß: Ken Jebsen ist neugierig auf seine Gäste. Er hat nicht schon im Kopf, was er sagen oder senden will. Keine „Realität“ aus der Redaktionsstube, die der Gesprächspartner nur noch illustrieren muss (und die einfach nicht gesendet oder gedruckt wird, wo er das nicht tut). „Was Schönes aus den Aufnahmen“ basteln: So funktioniert Journalismus heute (vgl. Karidi 2017, Meyen 2018a). KenFM funktioniert so nicht.
Das führt direkt zum zweiten Stein des Anstoßes, interessanterweise deutlich kleiner als der Kontaktvorwurf (zumindest bei denen, die mit mir über das Interview gesprochen haben). Der Inhalt. Das, was ich gesagt habe. Der Magen drehe sich ihm um, wenn er mein Lob auf einen Journalismus der Marke Ken höre, schreibt ein ehemaliger Doktorand, inzwischen selbst eine Art Star in der Branche. Den Auftritt selbst könne er ja irgendwie verstehen. Die Reichweite („größeres Publikum war nie für die Kommunikationswissenschaft“), der Absatz („das Buch verkauft sich danach bestimmt“), das Tempo (in 90 Minuten „drei Stunden Inhalte hineingepackt“). Aber sonst? Lästern über kommerzielle Medien, wo „für Visitenkarten“ und „fürs Flottenmanagement“ geworben werde. Und dann das mit dem Magen.
Dieser Journalist beruft sich auf Wolfgang Storz, „der natürlich aus dem tiefen System der alten Medien kommt“: „Was er (Ken Jebsen) macht, das macht er, um seine Deutung der Welt zu stärken, nicht um zu bedeutenden Ereignissen die wichtigsten unterschiedlichsten Interessen und Perspektiven darzulegen; wie dies die Pflicht von Journalisten ist, so die berufliche Norm, zugegeben zu oft nicht die Praxis“ (Storz 2015).
Gut gesprochen, in jeder Hinsicht. Öffentlichkeit herstellen: Das ist der Auftrag des Journalismus (vgl. Pöttker 2001). Alle zu Wort kommen lassen (alle Menschen, alle Positionen). „Wichtige, richtige und faire Informationen für möglichst viele Menschen“, sagt der Journalistikwissenschaftler Horst Pöttker (2018). Man könne schlecht leben, wenn man „keinen freien Zugang zu verlässlichen Informationen darüber habe, welche Möglichkeiten und Gefahren es gibt“. KenFM (und andere alternative Kanäle im Netz) gibt es, weil die traditionellen Medien diesen Auftrag nicht erfüllen. Weil sie nicht über alle Ereignisse, Interessen, Perspektiven berichten, lieber Wolfgang Storz. Weil sie auslassen, weglassen, ignorieren. Warum sollte jemand Geld spenden, wenn der Gebührenrundfunk und werbefinanzierte Angebote alles liefern, was er braucht? Warum ein zweites Gericht bestellen oder gar in eine Spelunke wechseln (in den „halbdunkel-ausgeleuchteten Raum des Sagbaren“, so der Ex-Doktorand mit feiner Ironie), wenn man schon satt ist?
Das (buchlange) Interview, das Mathias Bröckers (2016) mit Ken Jebsen geführt hat, sollte Pflichtlektüre werden auf jeder Journalistenschule – nicht wegen der Form (viel zu viele lange Fragen und oft noch längere Antworten), sondern wegen des Inhalts. Den Journalismus und „die freie Presse“ beschreibt Jebsen dort als „Immunsystem der Demokratie“ (S. 214). Sein Credo in ein paar Zitaten zum Zitieren: „unvoreingenommen“ bleiben, auch wenn Menschen „am medialen Pranger stehen“. Menschen „ertragen“ und vor allem „zu Wort kommen“ lassen, die „vom Mainstream abweichen“ (S. 222). „Dafür sorgen, dass Demokratie nicht korrumpiert wird, oder wenn dies geschieht, darauf hinweisen“ (S. 47). Angsthasen? Absolut ungeeignet für den Beruf. „Das ist doch ganz einfach. Journalismus bedeutet, etwas zu bringen, von dem andere wollen, dass es nicht veröffentlicht wird. Alles andere ist PR“ (S. 48). Und: „KenFM liefert Argumente, um dem Mainstream zu widersprechen“ (S. 37) – ein Muss für uns Bürgerinnen und Bürger, denn „fast alles, was wir heute als Wirklichkeit betrachten, ist ein künstlich erzeugtes Produkt der Massenmedien, auf die wir uns dann beziehen, wenn wir uns ‚unsere‘ Urteile bilden. Nur werden die ‚Fakten‘ erst zuvor von den Medien selbst geschaffen“ (S. 48).
Man ahnt es schon: Die einstigen Kolleginnen und Kollegen kommen nicht gut weg in diesem Interviewbuch. „Embeddet“ (S. 49) und „gesteuert“ durch eine „klebrige Nähe“ zur Macht (S. 38). Kein „Mindestabstand“ zur Politik, zu wenig „unterschiedliche Standpunkte zu einem Thema“ (S. 39). Recherche „nur noch aus Versehen“, „XXL-Tabuthemen“ (S. 117) und vor allem keine Kritik an den USA – dem „schlichten Umstand geschuldet“, dass die Presse „in Schlüsselpositionen von Personen geführt wird, die nicht neutral berichten wollen, dürfen oder können“, weil sie über Stipendien oder Think Tanks „zu hörigen Fans der US-Politik“ gemacht worden seien (S. 92).
Zu pauschal, natürlich. Zu wenig sensibel für die Perlen in den Tiefen der Medienmaschine. Ken Jebsen steht mit dieser Kritik aber nicht allein. Auch hier lohnt sich ein Blick in die Kommentare zu unserem Gespräch. Dort äußern sich keine Verschwörungstheoretiker, sondern Menschen, die besorgt sind über den Zustand von Medien und Demokratie. Menschen, die sich schon vor Jahren vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgewandt haben, obwohl (oder weil) sie „verlässliche Informationen“ (Pöttker) über Möglichkeiten und Gefahren brauchen.
Auch wer sich über Ken Jebsen informieren will, kommt mit Wikipedia nicht weiter (die deutsche Ausgabe „manipuliert, was die Tasten hergeben“, sagt der, um den es geht, Bröckers 2016: 154) und auch nicht mit den sogenannten Leitmedien. Im Gespräch mit Mathias Bröckers (2016: 75) erzählt Jebsen zum Beispiel, wie er das Echo auf sein Aus beim RBB erlebt hat. Niemand habe mit ihm über den Antisemitismus-Vorwurf gesprochen. Niemand sei ins Archiv gegangen, um die fragliche Sendung noch einmal anzuhören. „Man schrieb voneinander ab. Punkt.“
Die Moral von der Geschichte? Jebsen: „Das Establishment hat ein Riesenproblem mit dem, was man echte Meinungsfreiheit nennt, und es hat die Medienrevolution nicht verstanden. Der Staat, seine kontrollierten Presseorgane, die so gut wie nie gegen, sondern immer nur im Sinne der besitzenden Eliten berichten, all diese Herrschenden haben immer noch nicht realisiert, dass ein verlorenes Meinungsmonopol (…) sämtliche Machtstrukturen durch den Wolf dreht“ (Bröckers 2016: 208). Hier irrt Ken Jebsen. Das Establishment hat verstanden, um was es geht. Es schließt die Kommentarspalten (vgl. Meyen 2018b), es fährt Kampagnen gegen Fake News, Hate Speech, Verschwörungstheorien ( „Sprachregelungen und Kampfbegriffe“, bei denen es um die „Deutungshoheit“ geht, Schreyer 2018: 179), es versucht, Facebook und Co. zu kontrollieren. Und es spricht Kontaktverbote aus. Ausgang offen.
Literaturangaben
Mathias Bröckers (Hrsg.): Der Fall Ken Jebsen oder Wie Journalismus im Netz seine Unabhängigkeit zurückgewinnen kann. Der Macher von KenFM im Gespräch mit Mathias Bröckers. Frankfurt am Main: fifty-fifty 2016.
Michael Butter: „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhrkamp 2018.
Maria Karidi: Medienlogik im Wandel. Wie sich verändernde Akteur-Struktur-Dynamiken in den Inhalten der Nachrichtenmedien widerspiegeln. Wiesbaden: Springer VS 2017.
Michael Meyen: Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand. Wie uns die Medien regieren. Frankfurt am Main: Westend 2018a.
Michael Meyen: Kommentare zu, Demokratie tot. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2018b.
Horst Pöttker (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaft über Journalismus und Medien. Konstanz: UVK 2001.
Horst Pöttker: Man muss konfliktbereit sein. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2018.
Paul Schreyer: Die Angst der Eliten. Wer fürchtet die Demokratie? Frankfurt am Main: Westend 2018.
Wolfgang Storz: Den Mainstream in den Medien erweitern. Jürgen Elsässer, Ken Jebsen und Co. In: Tagesspiegel vom 24. August 2015.
Titelbild: Screenshot, Natalie Berner
Empfohlene Zitierweise
Michael Meyen: Ken Jebsen und das Establishment. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2018. https://medienblog.hypotheses.org/2668 (Datum des Zugriffs)
Quelle: Medienrealität

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