Voller Energie
Mit dem Bau der Pipeline »Nord Stream 2« will die Bundesrepublik zum Verteilerzentrum für Erdgas werden. Das missfällt einigen EU-Mitgliedern und den USA, die Russland außen vor lassen wollen
Von Franziska Lindner![]()
Trotz Sanktionen und anhaltender politischer Spannungen – das Energiegeschäft zwischen deutschen und russischen Firmen funktioniert weiterhin ohne größere Reibungen
Foto: Axel Schmidt/Nord Stream 2
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Franziska Lindner: Die deutsch-russischen Energiebeziehungen. Kontinuitäten und Brüche im geopolitischen Umfeld. Papy-Rossa-Verlag, Köln 2018, 103 S., 14 Euro
Im September 2015, also mehr als ein Jahr nach der Verhängung der sektoralen Wirtschaftssanktionen durch die EU gegenüber Russland, wurde zum Ausbau der Ostseepipeline die Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG gegründet. Das löste bei den Staaten, die bereits der Leitung »Nord Stream 1« kritisch gegenüberstanden, ein unangenehmes Déjà-vu aus. Zwei weitere Stränge sollen noch im Jahr 2018 begonnen werden und voraussichtlich Ende 2019 in Betrieb gehen, was einer Verdoppelung der Transportkapazität für russisches Erdgas direkt nach Deutschland gleichkäme. Allen voran die Ukraine, Polen und die baltischen Staaten fürchten neben ihrem Bedeutungsverlust als Transitländer und der Verschlechterung ihrer Versorgungssicherheit eine neue deutsch-russische Kooperation, die sich zu ihrem Schaden auf außenpolitische Fragen ausweiten könnte.
Vorbehalte und Widerstände
Die EU-Kommission sieht in dem Projekt seit jeher einen Widerspruch zum Ausbau einer gemeinsamen Energieunion und der mit ihr verbundenen Strategie der Diversifizierung der Energiebezüge der EU. Neben diesen politischen Bedenken hat die EU-Kommission immer wieder rechtliche Einwände gegen das Projekt angeführt. Sie möchte, dass für die Leitung »Nord Stream 2« die Regeln des EU-Binnenmarktes und die Regelungen aus dem »Dritten Energiepaket« gelten. Demnach müssen die Fernleitungsnetze aus den Erdgasunternehmen herausgelöst und so von der Produktion, dem Import und dem Vertrieb getrennt werden. Ferner wird darin der diskriminierungsfreie Zugang für Dritte zu Erdgasleitungen, die Vergabe von Transportkapazitäten und die Entgeltfestsetzung geregelt.
Ein internes Gutachten des juristischen Dienstes des Europäischen Rates, welches dem Spiegel vorlag (Ausgabe v. 30.9.2017), kam Ende September 2017 zu dem Ergebnis, dass sich weder aus der Richtlinie zum Erdgasbinnenmarkt von 2009 noch aus den EU-Verträgen eine Rechtsgrundlage für ein Verhandlungsmandat der EU über »Nord Stream 2« ableiten ließe. Das EU-Recht beziehe sich auf den Energiebinnenmarkt und sei nicht auf Projekte mit Drittstaaten anwendbar. Für Pipelines auf hoher See komme internationales Recht zur Anwendung. Die Experten stellten in dem Gutachten zudem die Annahme der Kommission in Frage, dass die Abhängigkeit der EU von russischem Gas durch die zusätzliche Erdgasleitung stiege. Die Einholung eines solchen Gutachtens hatte die BRD angeregt, nachdem die Europäische Kommission den Ministerrat der EU gebeten hatte, ihr ein Verhandlungsmandat für den Bau von »Nord Stream 2« zu erteilen. Das Ergebnis des Gutachtens entspricht der Meinung der Bundesregierung, dass für den Pipelinebau und -betrieb, wie schon im Falle von »Nord Stream 1«, das im Völkerrecht der Vereinten Nationen verankerte Seerechtsübereinkommen anzuwenden ist sowie Umweltverträglichkeitsprüfungen nach nationalem Recht, EU-Recht und internationalem Recht durchzuführen sind. Das »Dritte Energiepaket« ist darüber hinaus auf Offshore-Pipelines nicht anwendbar, zumal das Erdgas außerhalb des EU-Raumes auf russischem Staatsgebiet eingespeist wird. Die Leitung verläuft durch die Gewässer (ausschließliche Wirtschaftszone) von Russland, Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland, welche das Pipelineprojekt allesamt genehmigen müssen. Ferner berührt es die Interessen der Ostseeanrainer Polen, Litauen, Lettland und Estland, die in die Umweltverträglichkeitsprüfungen gemäß »Espoo-Konvention« einbezogen werden. Mit Blick auf »Nord Stream 2« debattiert das dänische Parlament derzeit einen mehrheitsfähigen Gesetzentwurf, nach dem Bauvorhaben in seinen staatlichen Hoheitsgewässern wegen übergeordneter nationaler Interessen untersagt werden können.
Die größere Bezugsmenge von Erdgas, das über »Nord Stream 2« anlanden soll, setzt den Ausbau des deutschen Leitungsnetzes und der europäischen Anbindungspipelines voraus. Für die Erweiterung des deutschen Netzes in Richtung Österreich, Tschechien und Polen sind im Netzentwicklungsplan der Betreiber von 2016 Zusatzkosten von rund 500 Millionen Euro veranschlagt worden; der Bau einer neuen Anschlussleitung nach Tschechien, Eugal (Europäische Gasanbindungsleitung), ist bereits fest eingeplant. Für diese Anbindungsleitung innerhalb Deutschlands gelten dann die EU-Regelungen aus dem Dritten Energiepaket. Das Gastransportunternehmen Gascade, eine Unternehmenskooperation von Wintershall und Gasprom, ist mit 50,5 Prozent der Anteile der Projektträger der Eugal. Es plant deren Bau ab Mitte 2018 und die Inbetriebnahme des ersten Strangs Ende 2019 zeitgleich mit der vorgesehenen Fertigstellung von »Nord Stream 2«.
Die beteiligten Unternehmen gehen offensichtlich davon aus, dass die EU-Kommission den Bau von »Nord Stream 2« letztlich nicht verhindern kann und den Ausbau der Anschlussleitungen rechtlich unterstützen wird. Die von Gasprom, BASF/Wintershall, der französischen EdF und der italienischen Eni geplante Offshore-Pipeline »South Stream« hatte nicht zuletzt der Druck der EU-Kommission Mitte des Jahres 2014 zum Scheitern gebracht. Die Leitung sollte unter Umgehung der Ukraine durch das Schwarze Meer über Bulgarien und weitere Staaten nach Österreich und Italien verlaufen. Als im Jahr 2013 der Bau der »Nabucco«-Leitung, die unter Umgehung Russlands und der Ukraine Erdgas aus Aserbaidschan und der Kaspischen Region in die EU befördern sollte, scheiterte, vereinbarte die EU-Kommission mit Aserbaidschan den Ausbau eines »südlichen Gaskorridors«. Mit diesem Korridor, über den die EU mit Erdgas aus dem Kaspischen Raum beliefern werden soll, konkurrierte seinerzeit das »South-Stream-Projekt«. Laut der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini sei der »südliche Gaskorridor« wesentlicher Bestandteil der EU-Strategie zur Energiesicherheit und habe Priorität. Inmitten des Ukraine-Konflikts, der Krim-Krise und der gegenseitigen Verhängung von Sanktionen forcierte die EU-Kommission unter Berufung auf EU-Regelungen aus dem Dritten Binnenmarktpaket ihre Bemühungen zum Stopp des »South-Stream«-Projekts.
Trotz des starken innereuropäischen Drucks hielt die 2013 gewählte schwarz-rote Bundesregierung an »Nord Stream 2« fest. Sie betonte stets die betriebswirtschaftlichen und rein kommerziellen Interessen der beteiligten Konzerne an dem Projekt, für welches keine öffentliche Finanzierung vorgesehen ist. Auf der Basis jahrzehntelanger politischer und wirtschaftlicher Energiebeziehungen sind die betreffenden Unternehmen und Teile der Politik daran interessiert, »angesichts der aktuell komplexen Marktlage, die von sinkender Förderung in der EU, dümpelnden Erdgaspreisen und einem schwierigen Geschäftsumfeld in Russland geprägt ist (…), ihre Marktposition als Lieferant, Energiehändler und/oder Gasproduzent zu stärken und ihre Investitionen in Russland abzusichern«, wie es in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik vom Dezember 2016 heißt.
US-Sanktionen
Diese Unternehmen könnten nun unter den US-Sanktionen mit exterritorialer Wirkung leiden. Ende Juli 2017 haben das US-Repräsentantenhaus und der US-Senat ein Gesetz (Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act) über härtere Sanktionen gegen den Iran, die Russische Föderation und Nordkorea verabschiedet, welches am 2. August 2017 nach Unterzeichnung durch US-Präsident Donald Trump in Kraft trat. Die Verschärfung der bereits geltenden Strafmaßnahmen gegen Russland wird mit der Übernahme der Krim, der militärischen Unterstützung des syrischen Staatspräsidenten Baschar Al-Assad im Syrien-Krieg sowie der angeblichen Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf begründet. Gemäß dem Gesetz kann der US-Präsident Sanktionen gegen Personen verhängen, die einmalig eine Million US-Dollar und mehr oder jährlich mehr als fünf Millionen US-Dollar in den Bau russischer Exportpipelines investieren oder diesen durch Projektdienstleistungen, Technologie und Informationen unterstützen. Der Präsident kann verschiedene Maßnahmen im Hinblick auf die Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen an sanktionierte Personen ergreifen, darunter Finanzsanktionen, welche die Vergabe von Krediten, Garantien und Versicherungen durch US-Finanzinstitute einschränken, oder Exportsanktionen, die die Vergabe von Lizenzen durch die US-Regierung unterbinden. Das Gesetz ist »exterritorial« anwendbar: Ausländische Unternehmen, die an russischen Energieprojekten beteiligt sind, können durch die Rechtsvorschrift bei Geschäften mit und in den USA sanktioniert werden.
In dem Gesetz wird überdies die Politik der USA im Hinblick auf die Energiesicherheit der Ukraine sowie hinsichtlich der eigenen Energieindustrie festgeschrieben. Zu dessen zehn Grundsätzen gehört, dass es die Politik der USA ist, die Pipeline »Nord Stream 2« weiterhin abzulehnen wegen ihres »schädlichen Einflusses auf die Energiesicherheit der Europäischen Union, auf die Entwicklung der Erdgasmärkte in Zentral- und Osteuropa und die Energiereformen in der Ukraine«. Schließlich wird festgehalten, dass die US-Regierung den Export von US-amerikanischen Energierohstoffen priorisieren soll, um Jobs zu schaffen sowie den eigenen Verbündeten und Partnern zu helfen und die Außenpolitik zu stärken.
Die Möglichkeit des Energieexports wird als außenpolitisches Instrument angeführt, um die USA als Faktor in der internationalen Energiepolitik und -wirtschaft zu stärken. Ein Teil dieser Strategie ist es, mit den Sanktionen den europäischen Energiemarkt verstärkt für US-amerikanische Rohstoffe, hier entscheidend Flüssiggas aus speziellen Fracking-Methoden, zu öffnen und zugleich russisches Erdgas als Konkurrenzware zu verdrängen. Dies verdeutlicht der explizite Widerstand gegen die Pipeline »Nord Stream 2«, die symbolisch für die intensiven deutsch-russischen Beziehungen im Energiesektor sowie für den Ausbau der BRD zum bedeutenden Gasumschlagplatz steht.
Ferner ist das Gesetz innenpolitisch motiviert. Es verleiht der US-Politik eine antirussische Note, zu einem Zeitpunkt, an dem US-Präsident Trump in Verdacht steht, zu Russland-freundlich zu sein. Gleichzeitig wird das Motto des Präsidenten, »America first«, aufgegriffen und gewissermaßen zum gesetzlichen Prinzip erhoben. Arbeitsplätze sollen zunächst in der heimischen Erdöl- und Erdgasindustrie entstehen. Das Festschreiben der Sanktionen in Gesetzesform macht es dem US-Präsidenten unmöglich, frühere Embargoerlasse gegen Russland aufzuheben. Alles in allem beinhaltet das Gesetz jedoch viele Kann-Regelungen, was der Politik des US-Präsidenten einigen Spielraum eröffnet und die Konsequenzen für europäisch-russische Projekte nicht eindeutig absehbar macht. Welche konkreten Folgen für die deutsch-russischen Energiebeziehungen entstehen, ist von der weiteren US-Politik, der Haltung der betroffenen deutschen Konzerne sowie der neuen schwarz-roten Bundesregierung abhängig.
Die vorherige Bundesregierung hat die US-Gesetzesinitiative kritisiert und sich deutlich gegen eine Einmischung der USA in die europäische Energiepolitik ausgesprochen, jedoch hat sie sich nicht explizit und klar hinter das Projekt »Nord Stream 2« gestellt. Zunächst, nach Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch den US-Senat Mitte Juni 2017, hatte der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) den Vorstoß gemeinsam mit dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Christian Kern in einer gemeinsamen Presseerklärung scharf kritisiert. Darin verwahrten sie sich dagegen, politische Sanktionsinstrumente mit wirtschaftlichen Interessen zu verbinden und europäische Unternehmen für ihre Beteiligung an russischen Erdgasprojekten auf dem US-Markt zu bestrafen. »Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit unserer energieintensiven Industrie und um Tausende von Arbeitsplätzen. (…) Europas Energieversorgung ist eine Angelegenheit Europas und nicht der Vereinigten Staaten von Amerika!«, betonten beide. Die Erklärung der beiden Sozialdemokraten wurde von der deutschen Bundeskanzlerin Merkel grundsätzlich gebilligt, wenngleich ihr Regierungssprecher Steffen Seibert leisere Töne anschlug, das Vorgehen des US-Senats als »eigenwillig« bezeichnete und sich für eine Trennung von Handelspolitik und Sanktionen aussprach. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker drohte den USA nach eigenen Angaben auf dem G-7- sowie dem G-20-Gipfel 2017 mit postwendenden Gegenreaktionen der EU, sollten die US-Sanktionen, wie ursprünglich geplant, beschlossen werden.
Deutsche Lobbyarbeit
Diese richtungsweisende Kritik schwächte sich nach Verabschiedung des endgültigen Gesetzestextes ab. Die letztendlich beschlossenen Sanktionen richten sich nun gegen Unternehmen, die Energieprojekte betreiben, an denen Russland mit mindestens 33 Prozent beteiligt ist. Damit sind sie beispielsweise nicht anwendbar auf das vor allem von BP vorangetriebene Offshore-Projekt »Schah Denis 2« in Aserbaidschan am Kaspischen Meer; an diesem Projekt ist die russische Lukoil mit zwei Prozent beteiligt. Zudem sei die Anwendung der Sanktionen künftig mit den europäischen Partnern abzustimmen, heißt es im Gesetz. Die entschärfte Fassung dürfte nicht nur dem Druck der EU-Kommission, sondern vereinzelten Berichten zufolge auch intensiver deutscher Lobbyarbeit im US-Kongress zu verdanken sein. Auf einer Veranstaltung des Ostinstituts Wismar Anfang November 2017 soll ein Vertreter des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums gesagt haben, dass sein Ministerium hinter den Kulissen permanent mit den US-Amerikanern zu »Nord Stream 2« und den Sanktionen verhandele. Es scheine derzeit so, dass die Erdgasleitung nicht unter das US-Sanktionsgesetz falle, da die Arbeiten an dem Projekt bereits vor Inkrafttreten des US-Gesetzes begonnen hatten.
Doch der Ausbau der Ostseepipeline bleibt innerhalb der EU umstritten. Nachdem die US-Regierung die erneuten Russland-Sanktionen mit exterritorialer Wirkungsmöglichkeit verabschiedet hatte, stieg der innenpolitische Widerstand innerhalb der bundesdeutschen Politik gegen »Nord Stream 2« an. In den sogenannten Jamaika-Sondierungsgesprächen nach der Bundestagswahl vom 24. September 2017 haben sich alle beteiligten Parteien, die CDU/ CSU, die FDP und die Grünen, öffentlich gegen das Projekt aus gesprochen, welches ihres Erachtens die Energieabhängigkeit von Russland steigere. Der CDU-Politiker und bisherige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, warnte davor, das Thema aus dem Blickwinkel einzelner Unternehmen oder gar einzelner Personen zu betrachten. In der Vergangenheit waren wie bereits bei deutsch-russischen Energieprojekten zu Zeiten des Kalten Krieges vor allem SPD-Politiker Fürsprecher des »Nord-Stream-2«-Projektes gewesen. In der bundesdeutschen Politik existiert folglich keine einheitliche Meinung. Während der Bau der Ostseepipeline von seiten der beteiligten Unternehmen derzeit vorbereitet wird – die Inbetriebnahme ist von der Projektgesellschaft für Ende 2019 fest eingeplant –, steht die Umsetzung angesichts des US-Widerstands, der beträchtlichen EU-internen Vorbehalte und der innenpolitischen Opposition gegen die Pipeline indes in Frage.
Das US-Gesetz über verschärfte Russland-Sanktionen erinnert an die Embargopolitik der USA im Kalten Krieg. Sowohl das nach einem entsprechenden Beschluss des Nato-Rates verhängte Röhrenembargo von 1962/63 als auch die Restriktionsversuche der Reagan-Administration gegen das Erdgas-Röhren-Geschäft Anfang der 1980er Jahre stellten geopolitisch motivierte Sanktionsmaßnahmen mit exterritorialer Wirkung dar. Zusätzlich zur angedrohten Sanktionierung im sowjetischen Energiegeschäft operierender westdeutscher Unternehmen hatten die USA die Embargomaßnahmen damals mit einer starken sicherheitspolitischen Komponente verbunden. Diese ist nach dem Ende von Kaltem Krieg und deutscher Teilung sowie der weitgehenden politischen und militärischen Integration Osteuropas in die Sicherheitsstrukturen des Westens nicht mehr in dieser Art nutzbar. Verstärkt anwendbar ist der Druck auf die deutsche Exportindustrie, die in den USA erhebliche Gewinne erzielt. Überhaupt verstärkt das Sanktionsgesetz den schwelenden Wirtschaftskonflikt zwischen den USA und der BRD, der um die Kritik der USA an den enormen deutschen Exportüberschüssen kreist. Mit höheren Energiepreisen, wie sie mit dem vermehrten Import von Flüssigerdgas vermutlich entstünden, ließe sich dieser langfristig eventuell etwas drosseln, da höhere Energiepreise die Produktion verteuern würden.
Nicht zuletzt ist zu beachten, dass die rechtlich anspruchsvollen Sanktionserlasse samt Erweiterungen und Einschränkungen in den verschiedenen Sektoren zu einer immensen Unsicherheit auf seiten der möglicherweise betroffenen Unternehmen führen. Die häufig nicht klar abschätzbaren Konsequenzen bewegen insbesondere mittelständische Unternehmen dazu, auf Kooperationen zu verzichten. Außerdem sind die Tätigkeiten mittelständischer Unternehmen häufig von Aufträgen abhängig, die aus den kapitalintensiven Projekten der Großkonzerne resultieren. Scheitern derartige Großprojekte wegen der Sanktionen, sind diese Unternehmen gleichfalls schwer betroffen. Zugleich gibt es verstärkte Tendenzen, die Sanktionen zu umgehen, indem die Produktion durch der Gründung von Tochterbetrieben direkt nach Russland verlegt wird. Dies geschieht etwa in der Automobilindustrie und im Werkzeugbereich.
Wie schon im Kalten Krieg zielen die Sanktionen nicht zuletzt darauf ab, Russland den Weg zur Hochtechnologie zu erschweren, mit der es die heimische Energieindustrie fördern und seine Energieinfrastruktur ausbauen kann. Im Ost-West-Konflikt erschienen sowjetisches Erdöl und später Erdgas als Konkurrenzwaren zu den privat durch US-Konzerne geförderten fossilen Energieträgern. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich die russischen Energiebeziehungen mit der EU und insbesondere mit der BRD derart vertieft, dass für die USA eine noch direktere Konkurrenz um den Absatzmarkt Europa besteht. Diese weist allgemein auf eine Zuspitzung der energiepolitischen Konkurrenz zwischen den USA und der Russischen Föderation im Weltmaßstab hin.
Gegenseitiger Nutzen
Insgesamt zeigt das Projekt »Nord Stream 2«, dass ein Teil der deutschen Wirtschaft an der intensiven Zusammenarbeit mit Russland im Energiebereich festhält − trotz politischer Krise, diplomatischer Abkühlung, wirtschaftlicher Sanktionen und der forcierten Energiediversifizierungsstrategie der EU. Die Erweiterung der Ostseepipeline, in erster Linie ein privatwirtschaftliches Anliegen, fördert den Ausbau des deutschen Marktes zu einem zentralen Erdgasumschlagplatz mitten in Europa, wovon der Wirtschaftsstandort BRD als Ganzes profitieren kann. Doch gleichzeitig stärkt das Pipelineprojekt Gasproms Position auf dem deutschen sowie europäischen Gasmarkt. Für den russischen Konzern und die russische Regierung wäre die Umsetzung in gewisser Weise ein politischer Zugewinn vor dem Hintergrund der seit der Ukraine-Krise politisch zugespitzten Konfrontation. Dies würde verdeutlichen, dass bestimmte Interessen im Energiebereich trotz der Spannungen und Sanktionen wirtschaftlich durchsetzbar sind. Zugleich könnte die Russische Föderation den Gastransit durch die Ukraine zukünftig weiter verringern und so den eigenen Energiehandel in die EU unabhängiger gestalten. Hilfreich dabei wäre auch das von Gasprom finanzierte »Turkish Stream«-Projekt, das den Bau einer Leitung durch das Schwarze Meer in die Türkei und bis an die Grenze Griechenlands vorsieht.
Quelle :Junge Welt
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