Verstaatlichung von Toll Collect – und was wird aus den Milliardenforderungen an die Telekom und Daimler?
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Die deutsche LKW-Maut ein einziges Desaster zu nennen, wäre bereits eine maßlose Untertreibung. Von Anfang an ging es dem Bund dabei im Kern nicht um die Mauteinnahmen, sondern darum, zwei „deutschen Musterkonzernen“ ein neues Geschäftsfeld zu eröffnen. Die Telekom und Daimler, die mit jeweils 45% am deutschen LKW-Maut-Betreiber Toll Collect beteiligt sind, vergaben jedoch sogar diese Steilvorlage und sorgten durch eine Reihung von Pleiten, Pech und Pannen schon lange vor dem Großflughafen-Projekt BER für ein Musterbeispiel der Inkompetenz deutscher Großkonzerne.
Wer eine LKW-Maut erheben will, der kann dies recht einfach und effektiv mit verschiedenen Techniken verwirklichen. Die Österreicher nutzen ein System, das im wesentlichen Mikrowellen zur Datenerfassung nutzt, damit preiswert im Unterhalt ist, und seit vielen Jahren weitestgehend reibungslos funktioniert. Die Schweizer nutzen vor allem simple Tachodaten. Auch ihr System ist einfach, preiswert und funktioniert. Deutschlands Premiumkonzerne wären jedoch nicht Deutschlands Premiumkonzerne, wenn sie sich mit solchen Low-Tech-Lösungen zufriedengäben. Für Deutschland sollte stattdessen eine echte High-Tech-Lösung her, bei der die fällige Mautzahlung über ein kompliziertes satellitengestütztes Erfassungssystem ermittelt wird. Dummerweise hatten Daimler und die Telekom zum Zeitpunkt der Ausschreibung aber gar kein Know-how für ein derartiges System und so kam es, wie es kommen musste. Anstatt am 31. August 2003 ging das System erst am 1. Januar 2006 mit vollem Leistungsumfang in Betrieb und selbst danach sorgte es noch durch technische Pannen bei allen Beteiligten für blanke Wut.
Warum hat der Bund überhaupt einem derart überambitionierten Projekt den Zuschlag gegeben? Der Grund dafür liegt wohl darin, dass die Politik den beiden „Premiumkonzernen“ Daimler und Telekom auf Steuerzahlerkosten ein neues Geschäftsfeld eröffnen wollte. Nicht umsonst war in den ersten Jahren von Toll Collect eigentlich nie von einer effizienten Erhebung der Maut, sondern stets nur von den „Exportchancen“ des Systems und den tollen „Zusatzdiensten“ die Rede, die das eigentliche Alleinstellungsmerkmal des High-Tech-Systems sein sollten. Bis heute ist kein einziger Spediteur bekannt, der je einen dieser Zusatzdienste gebucht hätte und international konnte lediglich eine abgespeckte Version an Belgien verkauft werden, während das Low-Tech-System aus Österreich weltweit eine Ausschreibung nach der anderen gewinnt.
Ein Desaster mit Ansage. Wären da nicht auch noch die Kosten. Da das Maut-System erst 28 Monate später voll einsatzfähig war, fielen in der Anfangsphase natürlich hohe Einnahmeausfälle an, die eigentlich vom Betreiberkonsortium ausgeglichen werden müssen. Es geht um 5,6 Milliarden Euro, zu denen mittlerweile noch rund zwei Milliarden Euro Verzugszinsen addiert werden müssen. Der Bund hatte sich jedoch vom Betreiberkonsortium einen 17.000 Seiten starken Vertrag unterschieben lassen, der dazu führte, dass die Frage, wer, wann, wie viel Konventionalstrafe an den Bund zahlen muss, fast eine eigene Wissenschaft wurde, die bis heute Heerscharen von Spitzenanwälten auf beiden Seiten beschäftigt. Die Frage der Konventionalstrafe wird auch nicht vor einem ordentlichen Gericht, sondern im Rahmen eines Schiedsverfahrens geklärt. Solche außergerichtlichen Schlichtungen sind nicht selten und dauern in der Regel ein Jahr. Das Verfahren Bundesrepublik Deutschland gegen Toll Collect geht nun jedoch schon ins 14. Jahr und ist damit reif für das Guinness Buch der Rekorde. Alleine der Bund musste schon 200 Millionen Euro für Anwälte ausgeben; beim Konsortium dürfte die Summe ähnlich hoch sein.
Insider haben das Schiedsverfahren bereits als Konjunkturprogramm für die beteiligten Großkanzleien enttarnt, die daher auch gar kein Interesse daran hätten, den stetigen Zufluss von Manna zu beenden. Hinzu kommt, dass die – zum Nachteil der Steuerzahler – 2015 verlängerten Betreiberverträge in diesem Jahr endgültig auslaufen und ohnehin nichtig werden, da der Bund die LKW-Maut gerne auf 7,5-Tonner und sämtliche Bundesstraßen ausweiten würde – zwei nicht eben exotische Zusatzanforderungen, die das High-Tech-System aus dem Hause Daimler/Telekom nicht erfüllt. Also muss neu ausgeschrieben werden.
Der Bund hatte, wenn er die Mauterhebung denn unbedingt wider dem gesunden Menschenverstand von privaten Akteuren durchführen lassen will, verschiedene Optionen:
- Der Bund belässt die Aufgabe der nun erweiterten Mautabrechnung bei der Toll Collect GmbH und schreibt die Anteile an der Toll Collect GmbH international aus.
- Der Bund schreibt die Mauterhebung komplett neu aus, lässt die Toll Collect GmbH in die Insolvenz gehen und verklagt deren Gesellschafter vor einem ordentlichen Gericht.
Doch diese Lösung lehnen Daimler und die Telekom natürlich ab, da dies auch bedeuten würde, dass die beiden Konzerne zumindest für einen Teil der Schäden, die sie angerichtet haben, haften müssten. Nach dem Bericht des Handelsblatts hat der Bund daher einer Verstaatlichung der Toll Collect GmbH zugestimmt, die ihrerseits zwei Optionen bietet …
- Der Bund übernimmt die Toll Collect GmbH und schreibt die Mauterhebung an ein neues Unternehmen aus.
- Der Bund übernimmt die Toll Collect GmbH, gliedert die Forderungen in ein neues Unternehmen aus und schreibt dann die „entschuldete“ Toll Collect GmbH neu aus
Auch wenn die meisten Details der Neuausschreibung und geplanten Verstaatlichung von Toll Collect noch unbekannt sind und man bis dato noch spekulieren muss, so stinkt die ganze Sache bereits jetzt zehn Meilen gegen den Wind nach einem riesigen Skandal. Es kann und darf doch nicht sein, dass der Bund freiwillig auf mehr als sieben Milliarden Euro verzichtet, die ihm nach eigenem Bekunden zustehen.
Diese mehr als sieben Milliarden Euro sind nicht das Geld einiger weniger Politiker und politischer Beamter, die nun über die Zukunft von Toll Collect entscheiden. Sie gehören der Allgemeinheit und eine offene Debatte über das künftige Vorgehen wäre zwingend nötig – alleine schon aufgrund der gigantischen Höhe der Forderungen, wir reden hier schließlich über einen Betrag, der fast 200 Euro Steuergeld pro Haushalt entspricht. Eine solche Debatte kann doch nicht hinter verschlossenen Türen geführt werden. Sie gehört in den Bundestag.
Ein wenig befremdlich ist auch die Gleichgültigkeit der meisten Medien. Man berichtet zwar unter Berufung auf das Handelsblatt kurz über die Pläne zur Verstaatlichung, spricht dabei jedoch weder die potentiellen Risiken für den Steuerzahler noch die Hintergründe an … von Kritik ist dabei ohnehin keine Spur. Je größer der potentielle Schaden, desto leiser die Medien?
Quelle: NachDenkSeiten
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