Die Schaltzentrale für Ostseekriege
ROSTOCK(Eigener Bericht) - Die Deutsche Marine baut in Rostock ein NATO-Hauptquartier auf und sichert sich damit die taktische Führung in einem etwaigen Seekrieg gegen Russland. Wie Marineexperten bestätigen, wird das neue Hauptquartier auf Waffengänge in Randmeeren wie etwa der Ostsee spezialisiert sein. Dabei kann es auch außerhalb des NATO-Rahmens genutzt werden. Parallel verlegt die Deutsche Marine ein zweites Führungszentrum, ihr Maritime Operations Centre (MOC), ebenfalls nach Rostock; die Einrichtung führt Flotte und Seeluftstreitkrafte weltweit auch in Übungen sowie im Ausbildungseinsatz. Das MOC umfasst unter anderem eine deutsch-polnische Führungszelle für U-Boot-Operationen, das laut Angaben der Marine "die binationale operative Kontrolle sowohl über deutsche als auch polnische U-Boote" ausübt; dabei könnten, so heißt es, die polnischen Seestreitkräfte ihre U-Boote "an deutsche Führungssysteme ankoppeln". Berlin macht sich die enge Marinekooperation zunutze, um Warschau zum Kauf deutscher anstelle französischer U-Boote zu drängen.
Weltweit führen
Eines der Führungszentren mit Bedeutung für internationale Operationen in der Ostsee, die künftig in Rostock ihren Sitz haben werden, ist das Maritime Operations Centre (MOC) der Deutschen Marine. Die Einrichtung, die gegenwärtig noch in Glücksburg an der Flensburger Förde untergebracht ist, übernimmt - so heißt es beim Rostocker Marinekommando - "24 Stunden täglich die weltweite Führung der Flotte" sowie der Seeluftstreitkrafte "im Einsatz-, Übungs- und Ausbildungsbetrieb". Sie gewährleistet dabei unter anderem "Planung, Durchführung und Leitung" militärischer Übungen.[1] Der Grundstein für den Gebäudekomplex auf dem Gelände der Hanse-Kaserne, in dem das MOC untergebracht werden soll, ist im vergangenen Juni gelegt worden; die Baukosten werden mit rund 66 Millionen Euro beziffert. Der Umzug aus Glücksburg nach Rostock wird voraussichtlich 2023 erfolgen. Im MOC sollen dann rund 400 Soldaten Dienst tun.
Angekoppelt
Eine der Besonderheiten des MOC ist, dass dort eine deutsch-polnische Führungszelle für U-Boot-Operationen existiert. Basierend auf einem deutsch-polnischen Abkommen über den Ausbau der Marinekooperation vom 27. Mai 2013 haben die Inspekteure der deutschen und der polnischen Seestreitkräfte am 28. Juni 2016 eine Grundsatzvereinbarung unterzeichnet, die den Aufbau einer gemeinsamen Submarine Operating Authority (DEU-POL SubOpAuth) als Teil des MOC vorsieht. Die Einrichtung übt, wie die Deutsche Marine mitteilt, "die binationale operative Kontrolle sowohl über deutsche als auch polnische U-Boote aus"; dabei kann die polnische Marine ihre U-Boote "an deutsche Führungssysteme ankoppeln". Zur Ausübung der Kontrolle entsendet die polnische Seite zwei Marineoffiziere an das MOC. Zwar legt die Deutsche Marine Wert auf die Feststellung, das militärische Kommando verbleibe "prinzipiell in nationaler Hand".[2] Dennoch ist der deutsche Einflusszuwachs deutlich. Er wird dadurch verstärkt, dass polnische Marinesoldaten künftig auch auf deutschen U-Booten eingeschifft werden sollen.[3]
Man kauft deutsch
Nicht zuletzt verstärkt die überaus enge U-Boot-Kooperation den Druck auf Warschau, auch in der Ausrüstung die Zusammenarbeit mit Deutschland zu suchen. So dringt Berlin darauf, dass die polnische Marine, die fünf neue U-Boote kaufen will, Modelle der Klasse 212 von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) beschafft; diese hat im vergangenen Jahr auch Norwegen im Rahmen seiner immer intensiveren Kooperation mit der Deutschen Marine bestellt.[4] Warschau hatte zunächst mit U-Booten der französischen Naval Group (Ex-DCNS) geliebäugelt - auch deswegen, weil der Ausbau der Zusammenarbeit mit Frankreich als willkommenes Gegengewicht gegen eine stets drohende deutsche Übermacht gilt. TKMS hingegen hat zuletzt angeboten, die U-Boote in Szczecin zu bauen und damit für einen gewissen Technologietransfer zu sorgen. Ursprünglich hieß es, die Entscheidung über den Kauf solle spätestens Anfang 2018 fallen. Nun aber ist zu hören, sie könne sich noch auf unbestimmte Zeit verzögern.
NATO-Kompetenzcluster
Neben dem MOC baut die Deutsche Marine in Rostock einen taktischen Führungsstab auf (DEU MARFOR), der in der Lage sein soll, nationale wie auch internationale Einsätze zu leiten. Er wird rund 100 Militärs umfassen, darunter 25 Vertreter ausländischer Marinen. Bereits 2019 soll DEU MARFOR laut aktuellem Planungsstand das multinationale Marinemanöver "Northern Coasts" steuern. Perspektivisch soll es in der Lage sein, bei Bedarf zu einem gut 170 Personen starken multinationalen Hauptquartier aufzuwachsen. Dieses soll dann als Baltic Maritime Component Command (BMCC) firmieren. Experten stellen es in eine Reihe mit fünf weiteren Hauptquartieren (UK MARFOR, FRA MARFOR, ESP MARFOR, ITA MARFOR, STRIKFORNATO), die jeweils Schnelle Eingreiftruppen (High Readiness Forces) der NATO führen können.[5] Allerdings habe das DEU MARFOR/BMCC die Besonderheit, dass es auf die Kriegsführung in Randmeeren, etwa in der Ostsee, spezialisiert sei, heißt es. Um diese Fähigkeit weiter zu stärken, werde es mit dem in Kiel angesiedelten NATO Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters (COE CSW), das sich der Weiterentwicklung der Randmeerkriegsführung widmet, in einem "Kompetenzcluster" kooperieren.[6] Faktisch läuft die Ostsee-Spezialisierung des BMCC auf eine klare deutsche Führung in etwaigen Waffengängen gegen Russland hinaus.
Flexible Hauptquartiere
Dabei soll das BMCC in Zukunft offiziell als NATO-Hauptquartier für Operationen in der Ostsee fungieren: Es wird in der Lage sein, einen kompletten NATO-Flottenverband zu führen, und in die NATO-Streitkräftestruktur (NATO Force Structure, NFS) integriert werden. Bei Bedarf wird es dann für NATO-Kriege genutzt werden können; allerdings ist es nicht darauf beschränkt und kann prinzipiell auch Einsätze etwa im EU-Rahmen führen. Die Flexibilität teilt es mit dem künftigen NATO-Logistikhauptquartier, das die Verlegung von Truppen quer durch Europa planen und im Kriegsfall auch führen soll; es wird, wie die NATO-Verteidigungsminister unlängst beschlossen haben, in der Bundesrepublik errichtet und bei Bedarf in die NFS eingegliedert, kann jedoch auch anderweitig, etwa für EU-Operationen, verwendet werden.[7] Die Zertifizierung des BMCC als NATO-Hauptquartier soll um die Mitte des kommenden Jahrzehnts abgeschlossen sein. Spätestens damit wird Rostock zur zentralen Schaltstelle für künftige Ostseekriege.
Anrainer-Vernetzung
Die Deutsche Marine hat ihre künftige Führungsrolle in der Ostsee systematisch vorbereitet - unter anderem mit der Vernetzung der Seestreitkräfte aller Anrainerstaaten außer Russland in der Baltic Commanders' Conference, einem jährlich abgehaltenen Treffen der jeweiligen Marinebefehlshaber, das erstmals im Mai 2015 im Rostocker Marinekommando stattfand (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Schon erheblich länger - bereits seit 2009 - beteiligt sie sich an der Sea Surveillance Cooperation Baltic Sea (SUCBAS), in deren Rahmen die Ostseeanrainer außer Russland sowie Großbritannien nationale Lagebilder und weitere Informationen austauschen - eine unabdingbare Voraussetzung für Operationen jeglicher Art.[9]
Ein potenzieller Einsatzraum
Zudem rüstet die Deutsche Marine selbst entsprechend den Anforderungen einer modernen Randmeerkriegsführung auf: Sie bemüht sich um den "Erhalt einer wirkungsvollen Fähigkeit im Unterwasserseekrieg", außerdem um "hochwertige Fähigkeiten in der maritimen Luftverteidigung", um "Teilhabe an der NATO-Raketenabwehr" sowie um den Aufbau "einer amphibischen Fähigkeit". Damit offenbare man einen "verstärkten regionalen Gestaltungswillen im Nordflankenraum, also den Gewässern des Nordatlantiks und der Ostsee", erläutert Ulrich Reineke, Abteilungsleiter Planung im Marinekommando.[10] Dabei reiche "die Bandbreite" der Szenarien, die man trainiere, von simplen Operationen gegen Piraten über die sogenannte asymmetrische Kriegsführung bis hin zur "klassischen ... Seekriegsführung wie Flugabwehr, U-Bootjagd und Kampf gegen Überwasserschiffe in einem High Intensity Szenario", hat kürzlich Konteradmiral Thorsten Kähler, Chef des Stabes im Marinekommando, konstatiert: "Leider müssen wir die Ostsee auch als potenziellen Einsatzraum gestalten."[11]
Quelle: German Foreign Policy
[1] Das Marinekommando stellt sich vor. Infobroschüre. Rostock 2012.
[2] Polnische und deutsche Marinen beschließen historisch einmalige Uboot-Kooperationsvereinbarung. Presse- und Informationszentrum Marine, 28.06.2016.
[3] Europäische Verteidigung: Praxistest bei der Deutschen Marine. marine.de 20.10.2017.
[4] S. dazu Unter deutschem Kommando.
[5] Volker Blasche, Michael Gräßel: Marine in Führung. In: MarineForum 10/2017. S. 44-46.
[6] S. dazu Die Ideenschmieden der NATO.
[7] S. dazu Transatlantische Konkurrenten.
[8] S. dazu Die NATO-Norderweiterung (II).
[9] Thorsten Kähler: Die Marine als Raumgestalter - zur neuen Architektur des Mare Baltikum. Vortrag auf der Maritime Convention 2017 in Berlin.
[10] Ulrich Reineke: Deutsche Marine auf dem Weg in die kommende Dekade. In: MarineForum 9/2017. S. 4-7.
[11] Thorsten Kähler: Die Marine als Raumgestalter - zur neuen Architektur des Mare Baltikum. Vortrag auf der Maritime Convention 2017 in Berlin.
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